Optimismus, Wagemut und Intellekt - Pacific Standard Time
Wer in Los Angeles lebt kennt das: Europäer, Menschen von der US-Ostküste, vielleicht ja sogar der Rest der Welt schauen gerne ein wenig auf uns herab als oberflächliche Träumer, die unter der ewigen Sonne von LaLaLand surfen, skaten und sich zu oft im Gesicht und an den Brüsten operieren lassen.
Bedeutende Kunst und bedeutende Gedanken entstehen anderswo lautet das gängige Klischee, das selbstbewusste Angelinos wütend macht und bei anderen am Selbstbewusstsein nagt.
Das gigantische Kunstprojekt Pacific Standard Time liefert mit fast zweihundert Ausstellungen, intellektueller Auseinandersetzung und optimistischen Elan jede Menge Stoff um diesem Vorurteil entgegenzuwirken. Wir können eintauchen in die Nachkriegszeit und zurückschauen auf die Geburtsstunde der kalifornischen Kunstszene, die soviel interessanter ist als ihr Ruf.
“Vor allem die New Yorker haben gedacht - bei uns spielt die Musik und in Kalifornien ist nicht viel los. Das ist ungerecht! Die Geschichte, Bedeutung und Originalität der kalifornischen Kunst ist unterschätzt!” erklärte mir Thomas Gaehtgens, der Direktor des Getty Research Institutes, das das Projekt mit rund zehn Millionen Dollar finanziert hat.
Auf den ersten Blick ist das Projekt überwältigend. Nach zwei Tagen Pressevorschau verschwammen tausende von Eindrücken in meinem Kopf zu einer bunten Collage aus Eames-Stühlen, Fundobjekten der Watts-Revolution, schwarz-weiss-Filmen mit rauchenden Hippies, einer goldbesprühten Riesenkobra und einem älteren Herrn, der zur Eröffnung mit Pappgitarre, Gartenschlauch und Windspiel musizierte.
Zum Glück bleiben mehrere Monate Zeit, sich genauer umzusehen. Sicher begegnen einem dabei immer wieder bekannte Namen wie Ed Ruscha und David Hockney. Aber wer wusste beispielsweise, dass es in Los Angeles ein Woman’s Building gab, in dem Künstlerinnen vom Machismus ihrer männlichen Kollegen und dem Schatten der New Yorker Kunstszene befreit ihren eigenen Stil entwickelten? Wer kennt die afroakemrikanischen und lateinamerikansichen Künstlergruppen, die in Los Angeles ihre ganz eigenen Ausdrucksformen fanden?
Um Vielfalt und Originalität dieser Kunstszene zu erfassen ist muss man sich mindestens eine Woche Zeit nehmen, ins Auto steigen und über die Freeways nach San Diego, Santa Barbara, Santa Monica und Palm Springs fahren. Wer das tut wird selbst Teil des Kunstwerks Kalifornien und findet reichlich Argumente für etwas, was wir in Los Angeles schon lange wissen: Kalifornien wird einfach zu oft unterschätzt.