Los Angeles – nicht alles Gold, was glänzt
Gasteintrag von Anny Wissmann
Voller Erwartungen und einem überfüllten Koffer habe ich mich auf den Weg in die Stadt der Reichen, Schönen und Promis gemacht. Doch schnell musste ich feststellen, dass die auf den Kinoleinwänden suggerierte Welt vom Luxus trügt. Ich hatte bereits 2006 die ersten Berührungspunkte mit Los Angeles, während meinem einjährigen Collegeprogramm. Entsprechend meinen ersten Erfahrungen als junges Mädchen im wilden Collegeleben ohne großen Blick auf das kontroverse Drumherum, ging ich meinen nächsten Trip als Praktikantin bei Kerstin, einer deutschen Korrespondentin fürs Radio, sieben Jahre später an. Die Ernüchterung über die Stadt folgte unmittelbar.
Los Angeles ist einzigartig – keine Frage. Und das in vielerlei Hinsicht. In West Hollywood, wo ich derzeit wohne, begegne ich täglich dem klischeehaften Glamour. Teure Läden auf dem Rodeo Drive, übersät von Menschen mit teuren Sonnenbrillen und der ein oder anderen Schönheits-OP. Große Häuser schmücken die Hills, umgeben von Palmen und Blumenbeeten. Auf Sunset Boulevard tummelt sich 24/7 das feierlustige Partyvolk und erholt sich in den unzähligen Restaurants und Cafés vom anstrengenden Feiern. Hier bestätigt sich das Bild aus dem Fernsehen. Doch abseits von den Hollywood Hills herrscht ein anderes Leben. Eine Parallelwelt, die mit Glanz und Luxus nichts gemein hat. Nur eine halbe Stunde Autofahrt entfernt befindet sich Skid Row – eine Gegend, die mich aufgrund ihrer Hässlichkeit und ihres Gestanks ziemlich abgeschreckt hat. Kein Wunder haben mir die Leute von dieser Umgebung abgeraten. Doch eine Reportage mit Kerstin hat mich hierher verschlagen. Auf Skid Row geht es um das nackte Überleben. Menschen vegetieren verwahrlost auf der Straße in notdürftigen Zelten vor sich hin oder liegen eingehüllt in Decken. Am liebsten hätte ich mich unter meiner Kapuze versteckt. Die Blicke fielen unmissverständlich auf Kerstin und mich. Wer hier geduscht und ohne Löcher in den Kleidern rumirrt, der gehört zu den „Reichen“. Wer aber auf Skid Row landet, für den gibt es kaum mehr Hoffnung. Die Gesellschaft hat sie vergessen. Diese Seite hätte ich nun wirklich nicht von der Stadt der Engel erwartet – die Bilder lassen mich nicht mehr los. Nur ein paar Gehminuten und Straßenblöcke weiter ragen riesige Geschäftsgebäude von Banken, der Los Angeles Times oder anderen Gewerben in die Höhe. Der Gegensatz zu Skid Row passt für den menschlichen Verstand nicht zusammen. Ich stelle jedoch fest, dass die Armut hier überall eine kleine Nische gefunden hat, von der keiner etwas wissen will und jeder großzügig übersieht. Die Lücke zwischen Überfluss und Armut klafft weit auseinander.
Es gibt noch einige andere Gegensätze und Kontroversen, von denen ich erschrocken bin. Dazu gehören die vielen Waldbrände, die Verlust, Leid und Armut hinterlassen. Die Kalifornier scheinen sich daran gewöhnt zu haben. Nur selten wird hinter die damit verbundenen Schicksale geblickt. Die erste Reportage mit Kerstin führte uns nach Camarillo zum Waldbrand. Schon die Fahrt dorthin über den Freeway 101 war beeindruckend genug. Die Gegenden Richtung Norden scheinen verlassen und einsam – nicht nur wegen der Feuermeldung. Äcker soweit das Auge reicht. Vereinzelnd blitzen Häuser oder abgelegene Einkaufsmöglichkeiten durch. Wer hier wohnt, der schottet sich bewusst vom lebhaften Treiben der Stadt ab. Camarillo selbst ist umzingelt von Bergen. Ein idealer Ort um Feuer zu fangen und großflächig zu verbreiten. Die Menschen hier haben schon viele Buschbrände miterlebt – nicht wenige von ihnen haben ihre Häuser, wertvolle Gegenstände oder sogar Angehörige dabei verloren. Für die Reichen ist es leichter, eine verlorene Existenz wieder aufzubauen, aber für die Mittel- und Unterschicht kann ein Brand den kompletten Ruin bedeuten. Ich habe mit Ginger, einer älteren Dame aus Camarillo, gesprochen, während hinter uns in den Bergen rotgelbes Licht vom Feuer zu sehen war, der Himmel von grauen Wolken bedeckt wurde und das Atmen nur mit einem Mundschutz möglich war. Sie wohne schon seit 20 Jahren hier und werde ihre Bleibe nicht wegen des Feuers verlassen, sagt sie. Eine Evakuierung komme für sie nicht in Frage. Es fühlte sich ziemlich bizarr an, als ich abends wieder in das hektische und fröhliche Treiben von West Hollywood zurückkehrte, ohne zu wissen, ob die alte Dame aus der Geisterstadt überleben würde.
Noch ein anderer Kontrast ist mir hier ins Auge gestochen. Es leben auffallend viele Mexikaner in Los Angeles. Doch sie scheinen nur wenig oder gar nicht integriert zu sein. Sie verrichten die niedrigeren Jobs, für die sich viele Amerikaner zu fein sind oder eine höhere Tätigkeit mit Mindestlohn anstreben. Das mag auch an der Tatsache liegen, dass viele von den Mexikanern illegal eingewandert sind und nun ums Überleben kämpfen, in der Hoffnung, nicht aufzufliegen und abgeschoben zu werden. Es tut mir aber leid mit ansehen zu müssen, wie abgegrenzt sie vom Rest der Amerikaner leben und wenig Beachtung finden. Mit Sicherheit träumen sie auch – wie viele andere, die nach Amerika kommen – vom ganz großen Aufstieg.
Soweit meine Eindrücke bis jetzt. Es liegen noch einige Wochen Abenteuer vor mir. Ein Schluss lässt sich jedoch bereits schließen: Los Angeles als eine Medaille mit nur zwei Seiten zu bezeichnen, würde der Stadt nicht gerecht werden. Ich kenne nichts Vergleichbares, nichts Verrückteres und nichts, das mehr Facetten haben könnte als die Stadt der Engel. Und dafür liebe ich sie, trotz allen Kontoversen und Gegensätzen.