Ossis und Wessis in Los Angeles
Ich bin eine waschechte Wessi.
Das hat schon in der Jugend angefangen - da habe ich im deutschen Südwesten nah an den Grenzen zu Frankreich und der Schweiz gelebt. So weit weg vom Osten wie nur irgendwie möglich.
1990 bin ich nach Berlin umgezogen, direkt nach dem Mauerfall - und habe dort jahrelang in den Super-Wessi-Bezirken Zehlendorf und Wilmersdorf gewohnt bevor ich nach Prenzlauerberg gezogen bin - wie alle hippen Wessis!
In den USA bin ich meiner Wessi-Seele treu geblieben. Natürlich lebe ich an der Westküste, in Los Angeles und in der Stadt so nah wie Wohnungspreise es erlauben am Pazifik. Ich bin von den L.A.-Ossis kilometerweit entfernt, getrennt nicht nur durch ständig verstopfte Stadtautobahnen sondern auch durch unsere Lebenseinstellungen.
Ja, das gibt es auch hier in Los Angeles: Ossis und Wessis.
Das ist mir erst so richtig klar geworden seit ich mich regelmässig auf Entdeckungsreise gen Osten - oder wie es hier heisst zur “Eastside” - bewege.
“Du bist ja mutig! Sind da nicht lauter Banden und Kriminelle?” warnen mich meine ‘Westside”-Freunde. Die sitzen lieber stundenlang im Flieger gen Hawaii oder Thailand, um dort zu surfen oder zu meditieren, als eine halbe Stunde im Stau gen Ost-Los Angeles.
“Erzähl bloß nicht zu viel Gutes über die Eastside!” flehen meine Ossi-Freundinnen. Sie haben Angst vor einer Wessi-Invasion in ihren Szenelokalen und Künstlerstudios, vor Luxussanierungen und Einförmigkeit.
Ich ignoriere diese Wünsche und Warnungen, schwärme hemmungslos von meinen Ausflügen in den Osten, bei denen ich tolle Typen, kreative Ideen, inspirierende Unternehmenskonzepte und sentimentale Musik entdecke.
Würde ich das Meer nicht so lieben, würde ich umziehen!
Und genau deshalb müssen sich meine Eastside-Freundinnen auch keine Sorgen machen: wir Wessis bleiben wo wir sind, genauso wie sich die Ossis nach einem Ausflug zum Strand, nach Venice und Santa Monica schwören, dass sie nie an die Westside ziehen werden.
Nichts und niemand wird mich dazu bringen in Kalifornien irgendwo zu wohnen, wo ich keine Meeresbrise spüre wenn ich morgens die Zeitung aus dem Vorgarten aufhebe.
Auf Entdeckungsreisen gehe ich weiter. In alle Himmelsrichtungen. Schließlich entdecke ich dabei so tolle Dinge wie das Plakat an einer Bücherei tief im Osten der Stadt:
“Los Angeles ist wie Deine Gehirnzellen. Du benutzt nur 20 Prozent davon. Stell Dir mal vor, Du würdest sie alle gebrauchen!”