Es ist etwa zwei Jahre her, da sass David Kipen vor seinen Kisten mit 7000 Büchern, die er gerade aus dem Lager geholt hatte und fragte sich “Was mach ich bloß damit?” Sieben Jahre lang hatte er als Buchkritiker und Literaturberater für die US-Regierung Stapel von Büchern gelesen und gesammelt. Sein Job wurde unter Barack Obama gestrichen und Kipen kehrte zurück nach Los Angeles ins Arbeiterviertel Boyle Heights. Während er noch grübelte wurden die Öffnungszeiten der Büchereien von Los Angeles gekürzt. Kipen ging ein Licht auf: “Da sitze ich auf einem riesigen Bücherberg und in meinem Viertel, in dem es sowieso schon kaum Zugang zu Büchern gibt, wird es noch weniger davon geben. Ich dachte: Was, wenn ich in einer leeren Ladenfront Regale aufstelle und die Bücher auslege? Vielleicht kommt ja jemand. Und sie kamen!” Kipen legte seine Bücher nicht nur aus, er verleiht sie. Kostenlos! Wer ein Buch kaufen möchte bekommt es zum halben Originalpreis. Bewohner von Boyle Heights zahlen sogar nur einen Dollar. Kipen möchte ein guter Nachbar sein.

Ich hatte über seinen Laden libros schmibros vor Monaten gelesen und war sehr neugierig geworden. Doch Boyle Heights ist von meinem Studio aus gesehen am anderen Ende von Los Angeles. An guten Tagen mit wenig Verkehr fährt man etwa 40 Minuten auf der Stadtautobahn gen Osten. An normalen Tagen mit Berufsverkehr sicher anderthalb Stunden.

Jetzt ist libros schmibros ins Zentrum von Boyle Heights umgezogen. Ich hatte wieder einen Anlass, darüber zu berichten. Glücklicherweise fand ich einen Redakteur in Deutschland, den das Thema auch interessierte und fuhr los mit meinem Aufnahmegerät. Mariachi Plaza ist die Adresse. Der Platz heisst so weil dort Mariachi-Musiker auf Arbeit warten. Seit wenigen Monaten hat er eine eigene U-Bahnstation.

Endlich stand ich also vor der bunten Fassade von libros schmibros. Was ich geahnt hatte passierte: innerhalb von zehn Minuten wurde ich zum Fan von David Kipen, von libros schmibros und seinen engagierten freiwilligen Helfern. Eine entlassene Literaturprofessorin lebt ihre Liebe zu Büchern nun als ehrenamtliche Co-Direktorin in dem Mini-Kulturzentrum aus. Ein junger Mann radelt täglich quer durch die Stadt um zwei Stunden freiwillig Bücher zu katalogisieren. Er spendet außerdem spanische Bücher, die er in und um Los Angeles auftreibt. Ein Zimmermann baut für den neuen Standort wandhohe Regale. Freunde und Unbekannte spenden kistenweise Bücher. Kipen hat inzwischen mehr Bücher als beim Start von libros schmibros.

Geld ist damit nicht zu machen. Was Kipen als Buchkritiker und Dozent verdient steckt er in Leihbücherei und Buchladen. Er ist beständig auf der Suche nach großzügigen Spendern - und so glücklich wie nie zuvor. Mit Humor, Wissen und ansteckender Begeisterung berät er Familien, die zu libros schmibros kommen, junge Paare, Studenten, Filmemacher, Kunstliebhaber und Mariachi-Musiker. Letztere stöbern vor allem in der wachsenden Abteilung für spanische Literatur. Solange Geld auf dem Konto ist wird es libros schmibros geben, verspricht David Kipen. “Ich möchte nicht aufhören. Warum sollte ich? Den Menschen scheint, das hier zu gefallen, und wir wollen ihnen mehr davon geben!”

Auf der Rückfahrt träume ich im Berufsverkehr davon mein eigenes libros schmibros zu eröffnen - mit angeschlossenem Radiostudio, in dem ich all die Geschichten aufnehmen kann, die Besucher mitbringen. Da ist doch diese leere Ladenfront bei mir um die Ecke ....