Meditieren zwischen Bomben
Nach acht Jahren Leben in Los Angeles hat auch mich schließlich das typisch kalifornische Bedürfnis gepackt, mehr Spiritualität in mein Leben zu bringen, angeregt vor allem von Büchern der großartigen bodenständigen buddhistischen Nonne Pema Chödrön. Erfolgreich bin ich damit nur bedingt. Laubblasende Gärtner, drohende Abgabetermine und körperliche Zipperlein fördern leider nicht mein Eintauchen in die Zen-Zone.
Umso neugieriger war ich auf mein Interview mit Paul Kendel über dessen Buch ‚Walking the Tiger’s Path’. Der Feldwebel der US-Nationalgarde machte sich auf eine ähnlich spirituelle Suche wie ich - allerdings unter aus meiner Sicht völlig unmöglichen Umständen: beim Militäreinsatz im Irak. Im Gepäck hatte Kendel eher zufällig ein Buch des spirituellen Oberhauptes der buddhistischen Shambhala-Tradition Sakyong Mipham. Nachdem innerhalb von sechs Tagen acht seiner Kameraden durch improvisierte Sprengstoffsätze getötet wurden schrieb er spontan eine Email an den Lehrer. „Meditieren ist schwierig hier. Allein ist man nur in der Dusche oder schwitzend in einem aufgeheizten Toilettenhäuschen. Beides sind keine der Meditation zuträglichen Orte. Andererseits bietet tagelanges Herumfahren mit dem Geländewagen im Bewusstsein jederzeit in die Luft gejagd zu werden reichlich Gelegenheit zum Nachdenken.“ Am Ende seines Briefes fragte Kendel: „Wie kann man eine Gruppe von Leuten, deren beste Freunde gerade in tausend Stücke gerissen wurden, davon überzeugen, dass die Antworten auf diese Tat Liebe und Mitgefühl sind?“
Mit diesem Brief begann ein reger Austausch zwischen Kendel und der buddhistischen Gemeinde. Offen erzählt der Feldwebel inzwischen von Kriegserlebnissen, auf die er nicht nur stolz ist. Um von seinen Kameraden und Befehlshabern nicht als kalifornisches Weichei verhöhnt zu werden schoss er zum Beispiel auf den Kofferraum eines Autos, in dem vier alte Männer saßen, beteiligte sich an Schießaktionen auf eine überfüllte Tankstelle und hielt einem Teeanger das Maschinengewehr vor die Nase, weil der sich beim Verteilen von Süßigkeiten immer vor die anderen Kinder drängte. „Schlechtes Karma!“ kommentiert Kendel diese Handlungen, für die er sich jetzt schämt. Gleichzeitig ist er sicher, dass seine durch Meditation erworbene Fähigkeit innezuhalten in anderen Fällen Schlimmeres verhindert hat. Er lernte, sich Schießbefehlen zu verweigern und legte Helm, Waffe und kugelsichere Weste ab, um mit irakischen Familien Tee zu trinken.
Die Lehre vom Krieger, der mutig und verwundbar mit offenem Herz auf seine Gegenüber zugeht, kann in lebensbedrohlichen Kriegssituationen kontraprodutiv sein. Feldwebel Kendel hat sie aber geholfen, innerhalb des Chaos Würde und Mitgefühl zu behalten.
Für mich eine beeindruckende Inspiration, meine morgendlichen Meditationssitzungen fortzusetzen. Zum Glück im wohltemperierten Zimmer und ganz ohne Angst, in die Luft gesprengt zu werden.